Seelsorge ohne Gewissen

 

Wenn die Gläubigen wüssten…
…wie schlampig und gewissenlos evangelikale „Seelsorge“ bisweilen betrieben wird…
…wie leichtfertig sich viele Gemeindelehrer mit Unehrlichkeit arrangieren können …
…wie unverbesserlich Gemeindelehrer selbst sein können, die andere zur „Umkehr“ aufrufen…
…wie wenig Beliebtheit und Einfluss über das geistliche Niveau aussagen…

Eigentlich hatten wir die Absicht, an die Anlaufstellen und Betreuungseinrichtungen für Menschen, die in religiöser Depression gefangen sind, nicht als Privatleute (und z.T. selbst Betroffene) heranzutreten, sondern mit der Unterstützung von bekannten evangelikalen Theologen und Gemeinden, die die betreffenden Nöte aufgrund ihrer Seelsorgepraxis gut kennen. Es ist zweifelsohne sinnvoll, wenn die Informationen über Ursachen und effiziente Gegenmaßnahmen dorthin gelangen, wo sie in erster Linie gebraucht werden. Oder nicht?

Das Hilfsangebot von medizinischer Seite für Hilfesuchende, die durch chronische religiöse Ängste gequält werden, ist sehr oft bescheiden und beschränkt sich dann auf die Verschreibung  von starken Beruhigungsmitteln. Wie soll das langfristig helfen bei Depressionen, die durch destruktive theologische Logik verursacht und genährt werden?

Um so wichtiger ist es, dass Theologen Antworten geben können, durch die destruktive Glaubensvorstellungen sachkundig entschärft werden können. Doch tun sie das? Unsere Webseite spricht alle Nöte offen an, analysiert und beschreibt die seelischen Vorgänge und druckt kritische Kommentare unzensiert ab. Hilfreiche Ergebnisse sind also verfügbar. Doch man höre und staune: erfahrungsgemäß besteht bei vielen Pastoren und Seelsorgern an der Aufarbeitung schädlicher Nebenwirkungen der eigenen Theologie kein nennenswertes Interesse. (Blinder Fleck)

Nachdem sich der Autor dieses Beitrags quasi die Hufe wundgelaufen hat, hat er noch mit einem allseits geachteten und einflussreichen Pastor einer der größten Gemeinden in …  gesprochen –  in der Hoffnung, wenigstens eine neutrale (!) Stellungnahme zu matth2323.de zu bekommen, die wir veröffentlichen könnten, d.h. eine Stellungnahme, die Inhalte gar nicht bewertet, sondern nur zum Nachprüfen auffordert, etwa in dem Sinne: „hier werden wichtige Themen angesprochen, über die man sonst in den Gemeinden schweigt. Prüft doch selber einmal, inwieweit das eine oder andere hilfreich sein könnte…“

Nicht einmal das war möglich. Selbst diese harmlose Bitte wurde zurückgewiesen, obwohl dieser Pastor schon etliche Jahrzehnte lang Seelsorge (!) betrieben hat und eigentlich die unerträgliche Not der Betroffenen und die Mangelhaftigkeit der üblichen Hilfen aus erster Hand kennt. Gründe für seine Weigerung konnte er nicht nennen.

Wir vermuten: mit der Forderung nach Offenheit und Ehrlichkeit macht man sich offenbar allgemein unbeliebt.

So erwies sich das Interview als ein Griff ins Klo!

Es folgt ein Gedächtnisprotokoll der wesentlichen Inhalte des Gesprächs. Die Beiträge, Antworten und Kommentare des allseits beliebten Seelenhirten, die bei manchem Brechreiz hervorrufen mögen, sind in roter Farbe markiert.

Interviewer (matth2323): … wir bieten mit unserer Internetseite Hilfen gegen giftige Theologie und Werkgerechtigkeit an, wie sie von deiner Gemeinde und der … Gemeinde … in … jahrelang vertreten wurden und teilweise heute noch gelehrt werden. Ein ganz wichtiger Punkt ist z.B. die falsche und destruktive Behauptung, dass der Gläubige mit unvergebener Sünde und unter ständigem Missfallen Gottes lebt, wenn es ihm nicht gelingt, Gott wenigstens nachträglich ein völlig gereinigtes Leben zu präsentieren und alle Sünden seines bisherigen Lebens „völlig aufzuräumen“, dass die Beziehung zu Gott gestört ist, wenn er nicht jede ausgesprochene Lüge und Halbwahrheit, an die er sich erinnert, richtiggestellt hat, wenn er nicht sich für jede Unfreundlichkeit entschuldigt, wenn er nicht für jede Verletzung Schadenersatz geleistet hat…“ Ein verheerender Irrweg, der Seelenfrieden und Glaubensfreude dauerhaft beschädigen kann.

Der einflussreiche Pastor:  Ja ja, da wurden wohl Fehler gemacht. Bei der Seelsorge an okkult Belasteten haben wir Experten vertraut, die sich damit auskannten. Diese Leute hatten Erfolge aufzuweisen. Sie halfen Menschen, denen niemand sonst helfen konnte. Sie haben uns über die Weitergabe der okkulten Belastung in der Familie „bis ins dritte und vierte Glied “ und über die Notwendigkeit der völligen Reinigung in der Seelsorge belehrt.  Daher kommt der Gedanke mit dem Aufräumen der Vergangenheit. Irgendwann haben wir gemerkt, dass da etwas falsch läuft, dass sich Gläubige in eine starke seelische Abhängigkeit von diesen Experten begaben, und haben dann einen anderen Kurs eingeschlagen.

Ich denke aber, dass eine Aufklärung über Werkgerechtigkeit heute nicht mehr nötig ist.
Wir haben dazu gelernt und Ich kenne keine Prediger mehr, die das noch in derselben gesetzlichen Art und Weise machen wie wir damals…

[…]

Interviewer (matth2323): Ob nun die meisten Prediger heute einen Wellness-Predigtstil bevorzugen, besagt doch gar nichts. Es werden immer wieder Impulse destruktiver Buchstabenhörigkeit in die Gemeinde kommen, ob nun durch Bücher, extreme Gastprediger oder Redner, oder Freunde, die zu einer obskuren Veranstaltung in irgendeinem Dorf einladen. Gerade wenn Gläubige merken, dass sie in der  frommen Wellness-Kultur zu oberflächliche Antworten bekommen, dann suchen sie Glaubwürdigeres  in Gemeinschaften, die sich sehr stark an den Wortlaut halten. Dort sind sie dann dieser Gefahr der Vergiftung ausgesetzt. bzw.  sie werden dort überfordert, gehen entweder allmählich kaputt und wenden sich ganz vom Glauben ab wie etliche Leute in meinem Bekanntenkreis. Diesen Leuten könnten wir u.U. sofort helfen, indem wir giftige Theologie mit solider Argumentation entschärfen.

Der einflussreiche Pastor:  Das sehe ich nicht so.

Interviewer (matth2323): Ist dir nicht bekannt, dass religiöser Missbrauch genauso schlimm ist wie sexueller Missbrauch ?

Der einflussreiche Pastor:  O ja, das ist wohl wahr.

Interviewer (matth2323):  Du selbst hast mich doch vor 25 Jahren in … getroffen und mit eigenen Augen gesehen, wie zerstörerisch und grausam die Angst vor der Hölle mich quälte. Was konntest du damals mir als Hilfe anbieten ? Gar nichts. Und weil auch andere Prediger nichts anzubieten wussten, habe ich noch weitere Jahrzehnte in dieser Not feststecken müssen. Jahrzehnte! Wieviele Seelsorger, Pfarrer und Therapeuten habe ich in dieser Zeit um Hilfe gebeten – ohne dass sie mir helfen konnten. Ich war nahe daran den Glauben wegzuwerfen. Wäre es nicht schön, wenn wir heute mit rechtzeitiger Aufklärung solche Katastrophen verhindern könnten  ?

Der einflussreiche Pastor:  Ich sehe das ganze eher als dein Privatproblem. Du bist halt ein Grübler und siehst Probleme, wo keine sind.

Interviewer (matth2323): Mit „Grübler“ meinst du wohl, dass ich spintisiere. Ich bin jedoch nur gründlich. Und wer gründlich hinschaut, der merkt, dass ihr euch nicht die Mühe macht, die Beweiskraft eurer Argumente zu prüfen,  dass ihr destruktive Bibelstellen ignoriert, und dass ihr es mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmt.  Wie soll da durch eure Seelsorge Vertrauen, oder gar Heilgewissheit entstehen ?

Der einflussreiche Pastor:  Ach was, das ist doch ganz normal. Das ist unser täglich Brot, dass es hinter den Kulissen nicht so toll aussieht wie manche Erfolgsberichte glauben lassen.

Interviewer (matth2323):  Und das findest du richtig ?

Der einflussreiche Pastor:  Das gehört dazu.

Interviewer (matth2323): Und das findest du richtig, dass Pastor Y verhindert, dass ich die Konventsmitglieder über notwendige Entgiftungsmaßnahmen informiere? Sind die Gehirne der Mitglieder sein Eigentum, dass er festlegen kann, was sie denken dürfen?

Der einflussreiche Pastor:  Pastor Y möchte halt keine Unruhe in seiner Gemeinde.

Interviewer (matth2323):  Ich bin gerne zu einer Podiumsdiskussion in dieser Gemeinde bereit und dann könnt ihr sehen, wessen Argumente Hand und Fuß haben und welche nicht.

Der einflussreiche Pastor:  Das werden die nicht mitmachen. Dich nimmt dort doch niemand ernst.

Interviewer (matth2323): Sehe ich das richtig: ihr selbst habt wenig oder keine Hilfe in den Fällen giftiger Theologie, insbesondere zur unvergebbaren Sünde anzubieten, ich dagegen kann gut begründete Hilfe anbieten,  und dennoch seid ihr der Ansicht, mich nicht ernstnehmen zu müssen? Ohne meine Arbeit zur Überprüfung vorzustellen?

Der einflussreiche Pastor:  So ist es.

Interviewer (matth2323): Wenn ihr mich für so gering haltet, dann erinnere ich an die Heilige Schrift: „wir sollen unseren Nächsten lieben, am allermeisten des Glaubens Genossen“, (Gal 6,10) und den Geringsten der Glaubensgenossen soll die meiste Ehre erwiesen werden.“ (1.Kor 12,23-24)

(Der einflussreiche Pastor sagt gar nichts, macht ein empört-beleidigtes Gesicht.)

Interviewer (matth2323):  Pastor Y von dieser Gemeinde erzählt mir, ich sei wohl Experte in der Frage  der unvergebbare Sünde und man würde alle Betroffenen zu mir schicken. Du aber erzählst mir, dass mich in der Gemeinde von Pastor Y niemand ernst nimmt. Unehrlich ist das wohl gar nicht?

Der einflussreiche Pastor:  (schweigt).

Interviewer (matth2323):  Ich habe mich sehr gestört an deiner Predigt am Reformationstag. Du hast dort Luther durchweg positiv präsentiert, als jemandem, von dem wir Freiheit des Christen lernen könnten und müssten. Es fehlte die halbe Wahrheit.

Der einflussreiche Pastor:  Na und?

Interviewer (matth2323): Was du erzähltest, war die eine Hälfte der Medaille. Die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge ! Luther hat die katholische Unfreiheit richtig diagnostiziert, er hat sich und anderen geholfen, davon loszukommen. Das ist richtig! Doch das war nur die erste Hälfte seines Lebens!

Sobald er die Unterstützung der weltlichen Macht erlangte, wurde er genauso schlimm wie der Papst. Er rief dazu auf, Christen zu verfolgen und zu ermorden, dies seine Bibelauslegung nicht teilten, z.B. die Säuglingstaufe und Gewaltlosigkeit des Christen, usw. Er rief zur Ermordung der Juden auf, und empfahl, behinderte Kinder als „Teufelswerk“ zu ersäufen.

(Der Interviewer zeigt dem Pastor ein Bild der Hinrichtung der mennonitischen Christin Anneken Hendriks, die von Lutheranern verbrannt wurde und gab ihm 10 Seiten mit Luther-Zitaten und Quellenangaben)

Kennst du diese unsäglichen Geschehnisse tatsächlich nicht ? Wozu studiert ihr eigentlich Kirchengeschichte, wenn ihr auf der Kanzel letztlich nur das berichten könnte, was jeder Gottesdienstbesucher aus dem letzten Lutherfilm kennt?

Seltsam: diese Verbrechen haben Luthers Heilsgewissheit  nicht im geringsten geschadet. Da liegt doch die Frage nahe: war das denn wirklich die Heilsgewissheit, die durch den Heiligen Geist kommt, oder war es nur ein allzu menschlichen Sicherheitsgefühl, das aus einer fleischlichen Quelle, aus dem Erfolgsrausch stammt? Niemand konnte der Lehre Luthers widerstehen. Das ist der „Mose-Effekt“: Gott und ich. Mose hat das tatsächlich gesagt und schlug mit dem Stab auf den Felsen. Zur Strafe wurde ihm der Einzug in das gelobte Land verwehrt, in das er andere geführt hat. Das sollte eigentlich für Pastoren, die sich auf ihre Erfolge berufen,  Warnung genug sein.

Luther hat jedenfalls von der Freiheit des Geistes sehr wenig verstanden und er hat es später übrigens in den Tischreden zugegeben, dass er es für unmöglich ansah, dass ein Mensch zwischen Heiligung und Werkgerechtigkeit unterscheiden könne. Das sollte uns hellhörig machen ! Denn bei Werkgerechtigkeit geht der Glaube kaputt. „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch Erfüllung des Gesetzes Gottes Heil erlangen wollt“ (Gal 5,1). Wenn der Gläubige also Werkgerechtigkeit nicht erkennen kann, dann `kann er da seinen  eigenen Glauben vor dem Untergang noch schützen? Das alles wird doch höchst unsicher! Diese Erkenntnis sind wir der Gemeinde schuldig !

Der einflussreiche Pastor: Ich sehe das anders! In einer Predigt kann man solche Dinge nicht sagen. Und ich gedenke auch weiter so zu predigen wie bisher: Luther hat uns gelehrt: „allein die Gnade allein die Schrift, allein der Glaube“ und das genügt uns.

Interviewer (matth2323): Und das Menschen weiter Schaden nehmen, ist dir egal?

Der einflussreiche Pastor:  Ich habe keine Lust mehr zu kämpfen.

Interviewer (matth2323): (verabschiedet sich in der Einsicht, dass hier nichts mehr zu erwarten ist.)

Eine neutrale Aufforderung, selber zu prüfen, ganz ohne eigene Stellungnahme… – Leichter kann man es ihm doch gar nicht machen. Selbst das geht nicht. Der Pastor will „Kampf“ vermeiden, der ihn überfordern könnte!

„Kampf“? Was ist denn konkret zu befürchten?

Vielleicht werden ihn ihn ein paar Brüder missbilligend ansehen. Das ist alles. Man kann ihm ja nicht vorwerfen, dass er in irgendeiner Weise Farbe bekennt und unangenehm aus der Reihe fällt. Und doch rutscht dem guten Mann bereits jetzt das Herz in die Hose.

Auf die Frage, ob nicht mit einer ehrlichen Diskussion über problematische Theologie Gläubigen, die in der Psychiatrie verzweifeln, geholfen werden könnte – verschwendet er keinen weiteren Gedanken. Solche Leute sind als Grübler geboren, übersensibel, sie haben eben Pech gehabt. „Lieber Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin, wie diese da…“ 

Warum müssen solche Leute über den Reformator Luther predigen, der wahrlich Todesmut bewiesen hat, als er noch ganz allein gegen die mächtige Kirche stand? Welches Recht haben solche „Gemeindeleiter“, unter dem Symbol des Kreuzes zu predigen? Das Kreuz ist ein Zeichen des Mutes, ein Zeichen der Bereitschaft, Verlassenheit, Verachtung und tiefstes Leid um der Wahrheit willen auf sich zu nehmen. „Wollt ihr auch weggehen?“ fragte Jesus seine Jünger. (Joh 6,67) Er stellte es ihnen tatsächlich frei. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, sie durch Abstriche von der Wahrheit zu halten.

Die Kirche ist voll von Verkündigern, die über Männer wie Jesus, Luther und Bonhoeffer große Reden führen, obwohl sie deren Wertschätzung unverfälschter Wahrheit überhaupt nicht teilen.

Das Symbol, dass ihre Einstellung viel besser charakterisiert als das Kreuz, ist die Wetterfahne, die sich in vorauseilendem Gehorsam nach den Wünschen der Mehrheit richtet.

 

Vom Kreuz, dass uns den Weg beschrieben
ist leider nicht mehr viel geblieben.
Heut steht, o dass sich Gott erbarm,
vor uns etwas mit einem Arm.
Und dieser Arm ward hohl und weich,
und kündet flexibel vom Himmelreich.
Wohin bloß, wohin? Schon bald ich es ahne:
Wir folgen nur noch der Wetterfahne.

[ENDE]

Artikel aktualisiert am 20.08.2023

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