Mission mit der Hölle?

Lieber Bruder …
Auch ich sehe wie Sie die Bibel als Fundament meines Lebens. Sie ist der Kanal, durch den der Geist des Schöpfers mit charakterverändernder Kraft dem ichbezogenen und triebhaft gesteuerten Leben entgegenwirkt. Dank des Sühnopfers Jesu erfährt der Gläubige die Freude über die Reinigung von Schuld und darf jeden neuen Tag unbelastet beginnen.

Das sind die sog. Heilstatsachen bzw. der Kern der frohen Botschaft, den man sogar ohne Buchstaben an Analphabeten weitergeben kann: mit dem bekannten Buch mit 5 Seiten in den Farben: schwarz, rot, weiß, grün, golden.

Sie haben einen sehr guten und treffenden Satz formuliert: „Es kommt nicht auf die Stärke des Glaubens an. Es kommt auf den Glauben an einen großen und gnädigen Gott an.“
Eben darum geht es mir. Denn nur daran kann man sinnvoll anknüpfen.

Die große Frage, die Luther umtrieb, wie gnädig ist Gott? Besondere Not machte ihm der Hebräerbrief, der viermal Drohungen enthält, die sagen, dass es möglich ist, dass reuige Sünder nicht mehr angenommen werden (Hebr 3,8-19 / 6,4 / 10,28 / 12,17) und ein schwerer Schlag gegen die Heilsgewissheit sind weil sie die Verheißung Jesu aufzulösen drohen. Denn wie passen die Drohungen zusammen mit der Einladung: „Wer immer zu mir kommt, den werde ich niemals hinausstoßen…“ (Joh 6,37) „Kommt her zu mir ALLE, die ihr mühselig und beladen seid… ? (Mt 11,28) Wer definiert, was „nicht genug glauben, „Abfall„, „mutwillig sündigen„, „unwiderrufliches Verkaufen des Erstgeburtsrechts“ ist? Es bleibt offen!

Immer wieder treffe ich Christen, die sich genau wie einst Luther mit der Angst vor dem Hebräerbrief herumplagen.

Luther hat keine andere Antwort gewusst, als den Hebräerbrief als apokryphe Schrift einzustufen, als eine Schrift, die zwar in Teilen wertvoll war, aber nicht“überall auf gleicher Höhenlage“. Er konnte sich hier sogar auf dieselbe Einschätzung etlicher alter Kirchenväter berufen. Erst auf dieser Basis konnten ihm seine Grundsätze „Allein die Schrift, allein der Glaube, allein Christus“ helfen.

Wie viel gläubige Christen kennen diese Tatsache? Kaum jemand ! Obwohl Luther in seiner Vorrede zum Hebräerbrief sich ganz klar und deutlich geäußert hat. Meine Erfahrung: Evangelikale Christen wollen das nicht hören! Und deswegen muss ich Ihrer Behauptung „Eine offene Diskussion findet natürlich statt“ entschieden widersprechen.

Man sollte hier die Ursachen einmal näher untersuchen dürfen, doch dem steht dieselbe philosophische Argumentation entgegen, die für die Chicago-Schule typisch ist und jedes weitere Nachdenken abwürgt. Sie schreiben: „Wenn ich einen Teil der Bibel für nicht wahr halten würde, wie sollte ich die anderen Teile für wahr halten, die alle zusammen gehören und voneinander abhängen?

Damit wird die – leicht widerlegbare – Behauptung aufgestellt, dass alles in der Bibel im finalen Lehrsatz-Stil, d.h. in höchster Qualität geschrieben sein muss. Wer genau hinsieht, dass der überwiegende Teil der Bibel in diesem Stil geschrieben ist, dass es aber vereinzelt auch Aussagen gibt, die vorläufig, verbesserungswürdig sind (Schatten-Texte, Übungstexte).

Eine kleine Liste biblischer Aussage-Stile finden Sie in:

„→ Spezielle Stile der Bibel“

Bekanntestes Beispiel: das Gesetz des Mose enthielt zwar viele Vorschriften zur Erhaltung der Reinheit, aber keine Ächtung der willkürlichen Ehescheidung, obwohl diese doch viel Leid bei den alleingelassenen Frauen verhindert hätte. Erst Jesus brachte diese Verbesserung. (Mt 19, 3 ff) Damit sagt er zugleich, dass das Gesetz des Mose eben nicht perfekt, sondern verbesserungswürdig war.

Es gibt auch dort noch weitere Mängel, die Jesus nicht billigen würde, obwohl es die Evangelien nicht erwähnen: das Verstümmelungsgebot (Deu 25,12) oder die Gestattung sexuellen Missbrauchs von kriegsgefangenen Frauen „Fuck and Fire“ (Deu 21,14) oder die „Pflicht“ des Vergewaltigers, sein Opfer zu heiraten (Deu 22,29) usw.

Wird hier vom Gläubigen, der nach „dem gnädigen Gott“ fragt, allen Ernstes erwartet, dass er die Mangelhaftigkeit dieser Gesetze bestreitet und das Nachdenken darüber als „Überforderung des menschlichen Verstandes“ vom Tisch wischt?

Vertreter der Chicago- Erklärung sind tatsächlich dieser Ansicht! Sie begnügen sich mit der Sammlung ihrer leichtgläubigen und schlecht informierten (!) Klientel in den Gemeinden. Ob redlich denkende Menschen durch ihre Haltung abgestoßen werden und gar keinen Zugang mehr zum Glauben finden, ob auch Gläubige den Eindruck bekommen,  dass zum Glauben notwendigerweise auch das Lügen gehört, ist ihnen völlig egal.

Doch ich denke, dass Jesus nicht so denkt, sondern sich über Ehrlichkeit freut. (Joh 1,47!)

Die Fakten müssen nicht verbogen werden, bis sie halbwegs zum Bibelverständnis passen, sondern das Bibelverständnis muss sich nach den Fakten richten dürfen.

Aber nicht nur die beobachtbaren Fakten warnen vor einem überarbeitungsbedürftigem Bibelverständnis, sondern auch das Bekenntnis der Apostel selbst: „Der natürliche Mensch versteht nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muss mit Hilfe des Geistes beurteilt sein. Der Mensch, der sich vom Geist Gottes leiten lässt, wird dagegen alles in der Schrift so beurteilen, dass es auch dem Urteil anderer standhält. Denn „wer hat den Sinn der Schrift erkannt, wie er der Absicht des HERRN entspricht, oder wer will ihn unterweisen? Wir aber haben Christi Sinn“. (1.Kor 2,14-15)

Entsprechend sagt auch 1.Joh 2,20: „Und ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist, und wisset alles.“

Das ist doch auch unsere Erfahrung: beim Lesen der Schrift leuchten viele Worte auf wie Leuchtbojen in der Fahrrinne eines Flusses und geben den Kurs vor. Andere Schriftworte leuchten nicht auf, wir wissen recht gut, dass sie uns keinen Kurs vorgeben und ignorieren sie automatisch.

Lieber Bruder, Sie fassen die Angst, die die Chicago-Vertreter vermitteln, in treffende Worte: „Wenn ich nicht glaube, dass die Bibel wahr ist, kann ich mich auch nicht auf sie berufen als das Wort Gottes. Dann wäre Gott ein Lügner…“

Ist es wirklich so? Der Sinn Christi, der Vergleich mit seinen Qualitätsstandards „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit“ (Mt 23,23) entscheidet unfehlbar und verlässlich, inwieweit Bibelworte verlässliche Positionslichter sind oder nicht. Jeder Gläubige, der sich an diesen Maßstäben orientiert, wird feststellen, dass Gottes Leitung in der Bibel verlässlich ist.

Wer dagegen jeden Buchstaben ungeprüft ausnahmslos für heilig und richtig und vollkommen hält, verliert die Orientierung. Dafür legen auch die Jahrtausende der Kirchengeschichte ein gotterbärmliches und blutiges Zeugnis ab. (Ich kann ein gründliches Studium der Kirchengeschichte nur dringend empfehlen, um die Sensibilität für perverse Frömmigkeit zu auszubilden, um dann wenigstens in der eigenen Theologie eine überzeugende Distanz zu dieser Art Frömmigkeit einhalten zu können.)

Zurück zum Thema „Hölle“. Sie schrieben zutreffend: „keiner weiß genau , was bildlich gemeint oder Wirklichkeit ist. Himmel und Hölle können mit menschlichen Worten nicht wirklich erklärt werden.“

Jeder Gläubige wünscht sich, dass möglichst niemand in der Hölle endet. Doch beim Missionieren macht man immer wieder die Erfahrung, dass gerade die Warnung vor der Hölle Menschen vom Glauben abschreckt. Sehr oft kommt die Botschaft so an: „Ich, Jesus, liebe euch alle. Aber wenn ihr mich nicht liebt und anerkennt, dann werde ich euch ewig foltern.“

Das ist das „Missionsparadox„. Es ist der Tod jeder Mission.

Zur Zeit der Apostel scheint dieser Eindruck nicht entstanden zu sein. Im Mittelalter entstand er ständig, aber Alternativen waren nicht bekannt.

Damit dieser fatale Eindruck heute nicht vermittelt wird, muss man sich schon einige Gedanken zum Thema Hölle machen und kann sich nicht vorschnell mit dem Argument der „unerforschlichen Weisheit Gottes“ zurückziehen.

Fatal ist es auch, wenn der Eindruck entsteht, dass der Maßstab der Barmherzigkeit, den Jesus als wichtigstes Gebot überhaupt aufrichtet (Mt 23,23), im Widerspruch zur Höllentheologie steht.

Moderne Theologen bestreiten nun, dass es überhaupt eine Hölle gibt, sie behaupten, dass schlussendlich „alle aus der Hölle herausgeliebt werden„. Der biblische Text gibt das nicht her – also ist die tröstliche Wirkung dieser fragwürdigen Behauptungen begrenzt.

Doch wir müssen uns schon Gedanken machen, wie das Thema Hölle mit den Qualitätsmaßstäben Jesu in Einklang gebracht werden kann und auch den Mut aufbringen, uns auf der Basis einer genauen Untersuchung des Textes von traditionellen, überwiegend destruktiv wirkenden Vorstellungen zu lösen.

So schreiben Sie: „Lebenslanges Bemühen um Barmherzigkeit bringt leider keinen in den Himmel, das ist gegen unser Gerechtigkeitsgefühl…“

Wissen Sie das genau? Jesus sagt genau das Gegenteil in Mt 25,31 ff. Ganze Völker werden in das Reich Gottes eingelassen, bloß weil sie barmherzig waren, Hungernde gespeist, Kranke getröstet, Gefangene besucht haben. Ein Glaubensbekenntnis spielt hier seltsamerweise gar keine Rolle. Eben das ist die Situation von Millionen, die das Evangelium nie so präsentiert bekommen haben, dass es leicht für sie war, es anzunehmen. Sie haben nicht viel erkennen können, sodass hier das Wort zutrifft: „weil ihr blind seid, habt ihr keine Sünde…“ (Joh 9,41) Weil ihnen wenig gegeben ist, wird Jesus von ihnen entsprechend wenig „fordern„. (Lk 12,48)

Sagt nicht Jesus hier genau das Gegenteil von dem, was Sie geschrieben haben?

Kleine Kinder kommen gar automatisch in den Himmel. (Mt 19,14) Wieder eine Ausnahme. Ohne Bekehrung? Ja, darf Gott das denn?

Um es ganz auf die Spitze zu treiben: der tiefste Grund für die Errettung ist die Erwählung, der souveräne Beschluss Gottes. „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“ (Rö 9,16). Was soll denn das? Das Buße tun, das Werke tun, die größte Zerknirschung und Reue – all das ist plötzlich Nebensache?

Kann man dann nicht Gott zutrauen, unversehens die Mehrzahl aller Menschen zu erwählen, und dafür zu sorgen, dass sie umkehren können? Wir finden dafür Beispiele im Jonabuch, in Hes 36 usw. An negative Prophetie fühlt Gott sich nicht unauflöslich gebunden. Wieso nageln wir dann Gott auf negative Prognosen fest? Wieso fühlen wir uns in der Lage zu bestimmen, wieviel Handlungsspielraum er hat? Wissen wir wirklich, was Gott tun wird oder teilen wir nun den Wahn der Theologen zu wissen, was niemand sicher wissen kann?

(Abstruses „Schmankerl“ aus der Kirchengeschichte: Wenn schon kein Bekenntnis, dann muss wenigstens die Taufe als Fahrkarte für den Himmel herhalten: In der evangelischen Kirche gab es noch vor nicht langer Zeit die „Nottaufe“ von Säuglingen, da man allen Ernstes damit rechnete, dass ungetauft gestorbene Säuglinge direkt zur Hölle fuhren! Welch tröstliche Einrichtung! Welche Barmherzigkeit! Trotz tiefer Gläubigkeit hat diese Sicht sicher nicht unerheblich zur Lächerlichmachung des christlichen Glaubens beigetragen!)

Was schließen wir daraus? Wollen wir die Aussagen in Einklang bringen, so stehen wir vor der Entscheidung, einen pessimistischen oder optimistischen Schwerpunkt zu setzen. Warum müssen wir dann immer der Tradition folgen und einen äußerst deprimierenden Schwerpunkt setzen?

Ich habe es für mich so gelöst: Wenn Gott einem Menschen das Privileg gewährt, sein Wort gründlich kennenzulernen, dann sollte er auf dieses Privileg mit Glauben antworten und sich der Gefahr bewusst sein, dass Eigensinn und Hartherzigkeit in der unumkehrbaren Feindschaft mit Gott enden kann. Die Hölle ist der Ort, wo diese Feindschaft endet. Je größer die Gnade, desto strenger das Gericht. Hier hat die strenge Warnung ihren Platz: „Wer nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,16), „…wird das Leben nicht sehen.“ (Jo 3,36)

Aber in Bezug auf Menschen, die das Evangelium gar nicht kennen, ist es angemessen,  den Blick auf Bibelstellen zu richten, die vom endgültigen Sieg über das Böse und Destruktive sprechen. Entgegen der Tradition sollten wir für diese biblischen Aussagen viel empfänglicher sein. Ich zitierte noch einmal Rö 11,32: „Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.“ In beiden Fällen geht es um „alle, die im Ungehorsam festhängen.“

In Ihrer Kommentierung leider nicht mehr. Sie schreiben: „Alle sind ungehorsam, aber Gott erbarmt sich aller (= nur derer), die an Jesus Christus glauben.“ In Mt 25,31 ff steht das nicht.

Kann man Menschen aus anderen Kulturen wirklich für die „frohe Botschaft“ gewinnen, wenn man ihnen vorher mitteilt, dass ihre Verwandten und Freunde, die nichts vom Glauben wussten und „nicht geglaubt“ haben, wahrscheinlich alle in der Hölle sind? Eine sehr hochgespannte Erwartung!

Zugestanden: trotz aller Bemühungen ist es mir bisher noch nicht möglich gewesen, ein vollkommen zufriedenstellendes Ergebnis zu präsentieren. Doch was ist in diesem Leben schon vollkommen? Eine konsistente Bewertung der verschiedenen Bibelstellen ist nun einmal sehr schwierig. Jedenfalls befindet sich dieser verbesserte Denkansatz mit dem Leitgedanken des christlichen Glaubens in Einklang, eine „frohe Botschaft“ und keine schauerliche Botschaft zu vermitteln. : 

Gerade weil das Thema Hölle gerade beim Gläubigen sehr große Schäden in der Seele anrichten kann (Psychologie der Hölle), gerade weil man immer wieder Gläubigen begegnet, denen die Warnung vor mutwilliger Sünde“ (Hebr 10,26) soviel Angst macht, das sie ihre Heilsgewissheit verloren haben und auch trotz vielerlei Bemühung nicht zurückbekommen, ist es nötig, dass eine verantwortbare Theologie gegensteuert. 

Auch dürfen Gläubige sich nicht damit abfinden, dass eine dilettantische Höllentheologie alle Bemühungen, Menschen zu überzeugen, zunichte macht.

Luther jedenfalls hatte für sich keinen anderen Ausweg gefunden, als sich Erleichterung durch die Abwertung des Hebräerbriefes zu schaffen. Evangelikal-fundamentalistische Gläubige werden ihm darin wohl kaum folgen können.

Ein geeigneterer Vorschlag wäre eine Rangbewertung biblischer Aussagen anhand der Qualitätsmaßstäbe Christi („prioritätenorientiertes Bibelverständnis„) und die Unterscheidung bibeltypischer Aussage-Stile.

Sofern die Grundsätze geistlicher Disziplin beachtet werden (!), bleibt der Gläubige auch hier vor der Entwertung biblischer Texte durch bibelkritische Spekulation geschützt, sodass der bibeltreue Ansatz nicht aufgegeben werden muss. („Bibeltreues Update„):

Wenn ich Menschen zum Glauben einlade, dann mit der Hoffnung auf die unsichtbare Welt Gottes und vorbereitete Wohnungen dort, auf das Geschenk der Auferstehung mit einem neuen Körper, auf die endgültige Erlösung der ganzen Schöpfung (Rö 8, 21-23) und wenn ich von der Hölle spreche, dann von der Hölle, die Menschen einander bereiten mit ihrer Missachtung der guten Gebote Gottes, von einer Hölle, aus der man mit Hilfe der Gnade Gottes herausfinden kann. Auch die Hölle nach dem Tod deute ich positiv, als Ort der Quarantäne, in der alles unverbesserlich Böse für ewige Zeiten unentrinnbar eingeschlossen bleibt.

Ist das nicht ein besserer Ansatz?

 

 

 

 

 

 

 

Artikel aktualisiert am 10.10.2018

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