Rangunterschiede biblischer Aussagen

Wenn Jesus seine Qualitätsmaßstäbe „Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit“ in Matth 23, 23 als wichtigste Gebote installiert, so bedeutet dies auch, dass es weniger wichtige Gebote, d.h. Rangunterschiede zwischen Geboten der Bibel gibt.

Es macht Sinn, den Rang eines Gebote entsprechend seiner Nähe zu den Qualitätsstandards Jesu festzulegen. Man stößt bei dieser Arbeit irgendwann auch auf einzelne Gebote mit dem Rang „Null“, die mit den Standards unvereinbar erscheinen. (Problemstellen)

Die Tradition legt ihre eigene Rangfolge fest je nach dem Respekt oder der Beachtung, die Gebote in der Gemeinde erfahren. Die traditionelle Rangbestimmung kann von einer geistlichen Rangbestimmung abweichen. (Details!)

Wir beobachten hinsichtlich des Respekts vor Geboten folgende Unterschiede:

1. Aussagen der Bibel, deren allgemein höchste Autorität anerkannt wird: hierzu gehören in erster Linie z.B. die Zehn Gebote (Ex 20) mit Ausnahme der Feiertagsheiligung sowie die sogenannten Lasterkataloge des Neuen Testamentes (2.Kor 13,20 / Gal 5,18-21 / 1.Kor 6,9-10 / 1.Tim 1,9-10 / 2.Tim 3,2-6 / 1.Pe 4,3) sowie Gebote des freundlichen und großzügigen Umgangs (Jak 3,17 / 1.Pe 3,8-10) sowie die Gebote, Gott zu lieben, zu vertrauen, zu loben und zu danken.

2. Aussagen der Bibel, die nur von einem Teil der Gläubigen respektiert werden: das Gebot der Feiertagsheiligung (Rö 14,5), das Gebot, Streitigkeiten zwischen Brüdern vor die Gemeinde zu bringen (Mt 5, 15-17), das Verbot, einen Bruder vor Gericht zu bringen in Angelegenheiten, die die Gemeinde regeln könnte (1.Ko 6,1ff), das Gebot, den, der böse ist, aus der Gemeinde zu entfernen (1.Ko 5, 13), das Gebot, einem hilflosen Menschen, der übervorteilt wurde, beizustehen (Jes 1,17), das Verbot, einem wohlhabenden Bruder mehr Respekt zu erweisen als einem armen Bruder (Jak 2,1 ff), das Verbot, einen Bruder Lehrer oder Meister im Glauben zu nennen (Mt 23, 8-11) (man nennt ihn stattdessen Dr.theol. oder Master of Divinity), das Gebot erwachsen und nicht kindisch zu denken (1.Ko 14,20), das Gebot über die geistliche Qualität des Dienstes in der Gemeinde ehrlich Rechenschaft zu geben (2.Ko 6,3-8), das Gebot, Gott die Leiter oder Lehrer in der Gemeinde bestimmen zu lassen (1.Ko 12,28), das Verbot, das Zungenreden in der Gemeinde zu untersagen (1.Ko 14,39), das Gebot, nur zwei oder drei Christen in Zungen reden zu lassen (1.Kor 14,27), das Verbot, in Zungen zu reden, wenn es keiner auslegen kann (V.28), das Verbot über den Glauben der Geschwister zu herrschen (2.Ko 1,24/ 1.Pe 5,3); das Gebot, die Brüder mit einem Kuss zu grüßen (Rö 16,16 / 1.Pe 5,14), das Gebot, für die Feinde zu beten (Mt 5,44), das Gebot, dass Geschiedene ehelos bleiben sollen (1.Ko 7,10-11), das Gebot der schmucklosen Frauenkleidung und Haartracht (1.Pe 3,3), das Gebot, den Kopf der Frauen beim Gebet zu bedecken (1.Ko 11,5), das Gebot, dass die Frau in der Gemeinde nicht lehren soll (1.Tim 3,12).

3. Aussagen der Bibel, die meistens oder immer ignoriert werden: das Gebot, nach jeder Predigt eine öffentliche Prüfung durch zwei oder drei bewährte Brüder zuzulassen (1.Kor 14,29), das Gebot, Streitfälle in der Gemeinde weise und vorbildlich gerecht zu entscheiden (1.Ko 6,5), den Geringsten in der Gemeinde mit höchstem Respekt (1.Kor 12, 23), ja wie Christus selbst zu behandeln (Mt 25,45), das Verbot, Spenden anzunehmen, wenn das Geld jemandem zusteht, der versorgt werden muss (Mk 7,11), das Gebot, sich an Nahrung und Kleidung genügen zu lassen (1Tim 6,8), das Gebot, bei einem Fest vorrangig Menschen aus der sozialen Unterschicht einzuladen (Behinderte, Arme usw.) (Luk 14,13-14), das Gebot, einer Frau, die unbedeckt betet, das Haar abzuschneiden (1.Ko 11,6), das Gebot, dass Sklaven ihren Herren untertan sein, ihre Pflichten ohne Murren erfüllen müssen und Misshandlungen demütig ertragen müssen (1.Pe 2,18-19).

Wie verträgt sich die unterschiedliche Beachtung von Geboten und Verboten der Bibel mit der Behauptung, dass alle Aussagen gleiche Autorität hätten?

Eines steht fest: wenn es sich bei diesen Aussagen um Gottes heiliges Wort handelt – woran wir festhalten wollen – dann ist es völlig inakzeptabel, wenn der Gläubige ein einziges dieser Gebote und Verbote willkürlich ignoriert.

Wenn er dieses Recht hätte, hätten alle anderen Menschen dieses Recht auch, ein Gebot oder Verbot, dass ihnen nicht zusagt, willkürlich aufzuheben. Damit wäre die Ethik aufgelöst. Sie wäre einfach eine Geschmacksfrage.

Das gleiche gilt, wenn man die Aufhebung eines einzigen Gebotes oder Verbotes mit der Tradition begründet. Das hieße nichts anderes, man handelt so, weil alle anderen im eigenen Umkreis auch so handeln oder immer so gehandelt haben. Es hieße nichts anderes: als dass der Gläubige “mit den Wölfen heulen müsse“. Auch damit wäre die Ethik aufgelöst. Sie wäre einfach eine Mode, nach der man sich zu richten hätte, wenn man nicht “out“ sein möchte.

Daraus folgt: der Gläubige muss die Aufhebung eines biblischen Gebotes oder Verbotes immer mit der Bibel selbst begründen können. Für die Aufhebung nimmt er dann göttliche Autorität in Anspruch und nicht seine eigene menschliche.

Dieses Verfahren ist zum einen möglich, weil biblische Aussagen nicht gleichwertig sind, sondern in einer Rangfolge stehen, an deren Spitze (Mt 23,23)die drei Qualitätsmaßstäbe Jesu “Barmherzigkeit, Liebe zum Recht, Treue und Ehrlichkeit“ stehen.

Zum anderen ist es erlaubt, weil die Bibel uns dieses Verfahren selber vormacht: Der Apostelkonvent hebt fast alle für die jüdische Gemeinde bis dato gültigen jüdischen Gesetze auf, bis auf vier Ausnahmen. (Apg 15,20). Eine dieser Ausnahmen, das Verbot von Götzenopferfleisch, wird von Paulus später noch einmal relativiert. (1.Ko 11,29)

 

Artikel aktualisiert am 25.04.2018

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