Gemeinde-Haftpflicht

Warum ist eine Gemeinde-Haftpflicht notwendig ?

Religion entfesselt die stärksten Kräfte in der Seele des Menschen, in positiver wie in negativer Hinsicht. Wir sehen, dass der Glaube an Jesus Christus manchen Menschen Kraft gibt, aus Liebe zu anderen Menschen Missionare zu werden, und unter Gefahren und erbärmlichsten sozialen Bedingungen zu leben. Aus Liebe haben manche sogar das eigene Leben für Mitmenschen geopfert.

Es ist aber auch bekannt, dass die evangelikale Verkündigung mit großer destruktiver Kraft in der Seele des Gläubigen wirken kann. („Giftige Theologie„) Der Gemeindelehrer kann – ohne es zu bemerken oder es zu wollen – einen wichtigen Aspekt der Lehre vernachlässigen, missverständlich darstellen oder selber missverstehen. Er kann auch selbst für eine wichtige Wahrheit blind sein, weil er selber eine Warnung der Bibel ignoriert oder fragwürdige Motive duldet. Wenn er seine Lehre erst evt. nach Jahren korrigiert, kann es für eine Gesundung des falsch informierten Gläubigen bereits zu spät sein. Chronische Ängste und Zwänge bestimmen unwiderruflich das ganze Leben. Der Gläubige hört zwar die ermutigenden Worte der Heiligen Schrift, er prägt sie sich ein und sagt sie sich immer wieder vor, aber sie erreichen seine Seele, die nun durch jahrelangen Missbrauch unwiderrufich fehlgeprägt ist, kaum noch oder gar nicht mehr.

Das Phänomen religiöser Traumatisierung ist unter dem  Begriff „ekklesiogene Neurose“ bzw. in der Gemeinde unter dem Begriff  Gesetzlichkeitbekannt. Unter diesem Sammelbegriff sind diverse Krankheitsbilder zusammengefasst. Sehr häufig wird ohne nähere Prüfung unterstellt, dass es sich nur um eine wahnhafte Erkrankung handelt, die der Betroffene ganz allein zu verantworten hat. Das ist möglich. Eine genaue Untersuchung kann aber auch ergeben, dass die Erkrankung das folgerichtige Ergebnis von Mängeln in der Gemeindelehre ist.

Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass jeder, der Religion lehrt, mit gewaltigen Kräften umgeht. Ein alter Mensch kann in ein Auto steigen, und mit der schwachen Kraft seiner Arme und Beine einen großen LKW bewegen. Er bewegt eine Kraft, die im ungünstigsten Fall verheerende Zerstörungen anrichten kann. Deswegen muss der, der ein Kraftfahrzeug fährt, eine Haftpflichtversicherung abschließen, die dem Geschädigten Ausgleich zukommen lässt.

Die Benutzung von Kraftfahrzeugen birgt immer ein Risiko, aber die Gesellschaft lässt dieses Risiko wegen der Nützlichkeit des Kraftverkehrs zu. Für mögliche Schäden muss allerdings Vorsorge getroffen werden (Gefährdungshaftung). Den Beitrag für eine Versicherung, die im Schadensfall eintritt, zahlt natürlich derjenige, der Nutzen aus der Haltung des Kraftfahrzeugs zieht.

Angestellte der Gemeinde ziehen erheblichen Nutzen in Form von Einkommen aus ihrer Tätigkeit in der Gemeinde. Gerade Gemeindelehrer werden häufig recht gut bezahlt. Warum ist es dann nicht zumutbar, dass sie von ihrem Einkommen einen Beitrag in eine Versicherungskasse leisten, aus der Gläubige unterstützt werden, die in der Gemeinde dauerhaft seelisch krank geworden sind ? Da dieser Fall nicht häufig eintritt, kann man die Beiträge niedrig halten.

Die Unterstützungswürdigkeit muss durch neutrale Personen geprüft werden. Unterstützung sollte dann gewährt werden, wenn der Krankheitsverlauf und Gemeindelehre in einem plausiblen Zusammenhang stehen, und wenn der Betroffene trotz großer Anstrengungen nicht in der Lage ist, wieder beruflich Fuß zu fassen.

Eine Versicherung ermöglicht es der Gemeinde, ihre Verantwortung für „Altlasten“ wahrzunehmen. Auch wenn der Schaden unter dem vorigen Pastor eingetreten ist, so sollte sich die Gemeinde auch für diesen Schaden zuständig sehen, denn sie hat ja auch Nutzen aus dem Dienst des Pastors gezogen.

Nicht selten ist es so, dass destruktive Impulse von verschiedenen Gläubigen in der Gemeinde gekommen sind und sich über die Jahre in der Seele aufsummiert haben. Bildlich gesprochen: viele Leute haben an dem Ast gesägt, auf dem der Betroffene saß. Insofern kann man die Katastrophe keinem bestimmten Schuldigen zuordnen. Dieser wird argumentieren, dass ohne den Beitrag der anderen nichts passiert wäre. Deswegen kann eine Ausgleichsleistung selbstredend nur aus einem Fonds erfolgen, in den alle religiösen Gemeinschaften einzahlen.

Es dürfte sehr schwer sein, evangelikale Gemeinden für diese selbstverständliche Maßnahme zu gewinnen. Man lässt sich nicht gerne nachsagen, dass Mängel in der Lehre jemandem geschadet haben.

Da ist es sehr viel leichter, ohne eine faire Untersuchung alle Schuld von vornherein auf den Geschädigten zu schieben, der sich dank seiner Krankheit nicht wehren kann.

Und damit hat man ohne weiteres Erfolg! Wem werden die Leute glauben: jemandem, der von seelischer Krankheit gezeichnet ist und mit seiner Beschwerde eine Missstimmung in die Gemeinde bringt oder einem Gemeindelehrer mit „Ausstrahlung“, der den Geschädigten, der nicht vergessen kann, seelenruhig und von oben herab der Lieblosigkeit oder Unversöhnlichkeit bezichtigt ?

„Negativ-Zeugnisse“ sind in vielen evangelikalen Gemeinden unerwünscht: man kann sie dort nur als Angriff auf den Glauben bzw. Verunsicherung im Glauben sehen.

Dann ist es ja auch nur „Notwehr“, wenn man  jeden, der das ihm zugefügte Leid zum Thema machen will, diffamiert: z.B. als jemand, der heimlich eine schlimme Sünde betreibt und nun sein Gewissen durch Angriffe auf den Glauben zum Schweigen bringen will. Andere werden dem Betroffenen „intellektuellen Hochmut“ vorwerfen, weil ihm die einfältige, gedankenlose Zustimmung seiner Mitgläubigen zu allen, was verkündet wird, nicht genügt. Wieder andere werden ihn der „Lieblosigkeit“ bezichtigen, da er mit seinen Einwänden die andächtige religiöse Stimmung der Gemeinschaft und die Harmonie untereinander beeinträchtigt.

Um negative Erfahrungsberichte abzuwehren, verfügt eine Glaubensgruppe über ein reichhaltiges Arsenal.

Da ein Interessenkonflikt zwischen besoldeten Mitarbeitern und Geschädigten besteht, ist es nicht sinnvoll, besoldete Mitarbeiter mit der Bearbeitung der Schadensfälle zu beauftragen. Dies müssen geeignete Gläubige des schiedsgerichtlichen Dienstes tun.

Bisher ist es leider meist so, dass man darauf (erfolgreich) spekuliert, dass die Geschädigten von sich aus die Gemeinde verlassen, weil sie die Scheinheiligkeit und Verantwortungslosigkeit dort nicht mehr aushalten.

Ihre Leidensberichte haben zur Folge, dass viele Menschen gegen den christlichen Glauben von vornherein Misstrauen und Aversionen entwickeln.

Wenn man sieht, wie Gläubige mit unangenehmen Informationen in der Gemeinde immer wieder umgehen („Miese Tricks„), dann entspricht die Bezeichnung von vielen Gläubigen als „unehrlich“ und „unfair“ allzu oft der Wahrheit. Es ist schlimm, das feststellen zu müssen.

Tilman Moser schildert in seinem verbreiteten Buch „Gottesvergiftung“ (suhrkamp 1980) die Jahrzehnte dauernden seelischen Nöte, die bei ihm schließlich zu einer völligen Loslösung vom Glauben an Gott geführt haben. Sein Buch wird im Religionsunterricht vieler Schulen besprochen und das, was dort schonungslos ausgesprochen wird, tritt sicherlich kraftvoll in Konkurrenz zu dem, was manche Schüler mit gläubigen Hintergrund in ihren Gemeinden zu hören bekommen.

Es ist erschreckend, wenn Gemeindeleiter das Bemühen um Fairness und Ehrlichkeit in der Gemeinde für überflüssig erachten und die damit verbundene fortschreitende Entchristlichung in unserem Land achselzuckend hinnehmen. Man macht sich kein Gewissen mehr um die Leute, die fortgehen, solange genug Neue dazukommen, die die Bänke füllen.

Deswegen unsere Forderung: Jeder Fall einer Schädigung durch Theologie ist zu dokumentieren. Jeder Seelsorger muss durch die Gemeindeordnung dazu verpflichtet werden.

 

 

 

Artikel aktualisiert am 05.08.2023

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