Entsolidarisierung

Wir wurden mit dem Vorwurf konfrontiert, unsere Kritik an „giftiger Theologie“ sei überflüssig. Sie beziehe sich auf Missbrauch, der vor Jahrzehnten vielleicht noch verbreitet, aber heute überwunden sei.

Ein Pater – tätig in einer Kirche in Bremen – berichtete, in seiner Seelsorge sei in vielen Jahren bisher nur eine einzige alte Dame erschienen, die tatsächlich noch unter einem engen Verständnis des KKK litt.

Die katholische Basis orientiere sich längst an katholischen Theologen wie Thomas Pröpper und Magnus Striet, die den katholischen Katechismus (KKK) längst nicht mehr für irrtumslos hielten, ihn vielmehr an humanen Maßstäben korrigieren würden.

Wer wollte das bezweifeln? Die Kirche hat in der liberalen Schulbildung in Europa eine starke aufklärerische Konkurrenz. Wer der städtischen Jugend vor diesem Hintergrund den KKK als irrtumslose Wahrheit präsentieren wollte – etwa auf Kirchentagen – der machte sich mit seinem Dogmatismus ziemlich lächerlich und wäre die Jugend bald endgültig los. Welche Kirche kann sich das leisten?

So lässt auch die Kirche der Basis, die nichts zu bestimmen hat, viel Raum, Reformvorschläge zu diskutieren, Dampf abzulassen, sich folgenlos zu entrüsten und sich als die wahre Kirche zu fühlen, solange nur die Hierarchie selbst unangetastet bleibt. Je mehr Gehaltsklassen man nach oben steigt, desto vorsichtiger die Kritik. Auch das ist vorhersehbar.

Ungeachtet aller destruktiven Folgen hält die Hierarchie weiter fest an rückständigen Interpretationen der Bibel – wie z.B. am Verbot von Kondomen, das für Tausende von Hungertoten und aidsinfizierten Menschen in Armutsgebieten verantwortlich ist.

Die meisten Menschen leben in Armut und haben keinen Zugang zu Bildung und Aufklärung. Sie sind der brutalen Seelenmechanik des traditionellen KKK schutzlos ausgeliefert – zumal sich gerade viele der Ordensgemeinschaften, die sich um solche Armen „kümmern“, einer rigorosen Anwendung des KKK verpflichtet sehen. (Vgl. Mutter Teresa – Berichte)

Nach wie vor extistert eine starke Fraktion erbarmungsloser Hardliner  in der katholischen Kirche, die zudem über die enge Anbindung an die Macht der Hierarchie verfügt. Vertreter dieser Richtung werden die seelische Schädigung durch fromme Erpressung stets als „Märchen“ zurückweisen.  (katholisches.infokath-zdw.ch / kreuz.net)

Das Leid der Betroffenen ist stets deren Privatproblem. Gleichwohl präsentiert man sich als  „Leib Christi“ und redet von der „Einheit“ der Kirche. Es kann sich aber nur um eine politische Einheit handeln – um die Versammlung einzelner Egoismen unter einer Fahne in der Hoffnung, gemeinsam stärker zu sein. Um die Einheit, für die Jesus betete (Joh 17,21-23), um eine brüderliche Einheit, in der „alle leiden, wenn ein Glied des Leibes leidet“ (1.Kor 12,26) , handelt es sich mit Sicherheit nicht.

Eine ähnliche Entsolidarisierung ist in der evangelikalen  Bewegung offensichtlich. Der Mainstream der Gläubigen geht in die liberale Richtung: Patchwork-Glaube als Wellness-Angebot. Man will sich mit Warnungen vor giftiger Theologie die Stimmung nicht vermiesen lassen. („Blinder Fleck„) Dabei sind diese Warnungen durchaus angebracht, da der Einfluss der streng biblizistischen Fraktion unkontrollierbar in Gemeinden und Hauskreise hineinreicht und nur durch Prävention unschädlich gemacht werden kann.

Auch hier geht man nach der Devise vor: persönliches Leid durch zu enge Frömmigkeit ist kaum sichtbar und taucht mit klinischen Symptomen selten auf. Deswegens spart man sich den Aufwand der Prävention. Wenn einzelne betroffen sind, so ist es stets deren Privatproblem. Die Bedürfnisse der Mehrheit, deren Gefühlsbedürfnisse nicht durch Warnungen beeinträchtigt werden sollen, haben Vorrang. Auch auf evangelikaler Seite existiert dasselbe Problem: faktisch Entsolidarisierung, trotz aller scheinheiligen Rufe nach „brüderlicher Einheit“.

Artikel aktualisiert am 25.04.2018

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