Auflösungsfähige Ärgernisse

Manche unnötig deprimierende Wirkung eines Bibeltextes kann durch eine bessere Übersetzung aufgefangen werden. Deshalb kann man nur empfehlen, neben der Luther-Übersetzung auch neuere Übersetzungen anzuschauen. Aber auch hier bleibt es natürlich sinnvoll, den Inhalt der „Stolpersteine“ zu überprüfen bzw im Lichte typischer Eigenarten der biblischen Autoren zu sehen.

Fundstelle Zitat Wirkung Konstruktive Erläuterung
1Joh 5,16 „Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht, eine Sünde nicht zum Tode, so mag er bitten, und Gott wird ihm das Leben geben – denen, die nicht sündigen zum Tode. Es gibt aber eine Sünde zum Tode; bei der sage ich nicht, dass jemand bitten soll.“ Versteht man unter „Sünde zum Tode“ die unvergebbare Sünde (Luk 12,10), dann scheint sie ja recht häufig stattgefunden zu haben. Man kann sich schwer vorstellen, dass diese Sünde in einer respektlosen Äußerung bestand, denn um diese zu bewerten, müsste man die Gedanken und Motive des Sünders gut kennen. Johannes aber spricht davon, dass seine Leser erkennen, ob eine Sünde zum Tode begangen wurde und sich ggf. das Gebet sparen können. Es liegt nahe, die Sünde zum Tode im Sinn des Hebräerbriefes als „mutwillige Sünde“ (Hebr 10,26) zu verstehen. Doch was ist das? Muss der Gläubige fürchten, durch längeres, hartnäckiges Sündigen unrettbar verlorenzugehen? Statt wieder neues Wasser auf die Mühle der Höllenangst und Werkgerechtigkeit zu gießen, ist es sinnvoller, als „Sünde zum Tode“ Verhaltensweisen zu verstehen, die die Gesundheit ruinieren, wie z.B. Alkohol- und Nikotinmissbrauch, maßloses Essen, Betreiben einer hochriskanten Sportart oder rücksichtloses Fahren im Verkehr. Wer das tut, muss es hinnehmen, wenn seine Gesundheit unversehens abhandenkommt. Es ist ziemlich viel verlangt, wenn Gott dann den Schaden reparieren soll.
1Joh 2,16-17 Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Und die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit. Mit diesen Sätzen wurde und wird die Verteufelung all dessen, was Lustgefühle bereitet, die Freude an Schönheit, Ästhetik und Sexualität  gerechtfertigt. Was zur Freude des Menschen von Gott erdacht ist, wird nun  als Sünde, die von Gottes Reich ausschließt, diffamiert. Die neue evangelistische Übersetzung vermeidet das Missverstehen: „Denn diese Welt wird von der Sucht nach körperlichem Genuss bestimmt, von gierigen Augen und einem unverschämten Geltungsdrang. Nichts davon kommt vom Vater. Es gehört alles zur Welt.“ (NeÜ)
1.Tim 5,11-12 Frauen, die das Gelübde der Ehelosigkeit abgelegt haben, “stehen unter dem Schuldurteil, die Treue gebrochen zu haben“. Der Gedanke liegt nahe, dass dieses Schuldurteil bis zum Lebensende fortbesteht und sich zwischen die gläubige Frau und ihren Gott stellt. Bessere Formulierung:  “sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie ihr Wort nicht halten konnten
1.Tim 3,2-5 Ein Bischof aber soll untadelig sein,… einer, der seinem eigenen Haus gut vorsteht und gehorsame Kinder hat, in aller Ehrbarkeit. .Denn wenn jemand seinem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie soll er für die Gemeinde Gottes sorgen? Versteift man sich ganz auf den  buchstäblichen Sinn, so muss ein Pastor, dessen Familie von Schicksalsschlägen heimgesucht wird (Sohn wird drogensüchtig oder rebellisch, Frau verlässt ihn) zugleich auch sein Amt aufgeben. Hier erscheint Gott als jemand, der einem Gläubigen für das Verschulden anderer noch zusätzliches, leicht vermeidbares Leid auflädt. Was  den Schluss nahelegt, dass Gott mit einem einzelnen Gläubigen sehr wenig  Mitgefühl hat. In der Tat: es gibt streng bibeltreue Gläubige, die sich zu einer unbarmherzigen Reaktion verpflichtet fühlen und tatsächlich der Meinung sind, damit Gottes Anerkennung zu erhalten. Was hier nicht explizit genannt wird, ist dennoch zu beachten. Manches versteht sich von selbst. Es muss natürlich ein auffälliges Fehlverhalten des Ältesten selbst vorliegen (Vgl die mangelhaften pädagogischen Bemühungen des Priesters Eli (1.Sam 2,12 ff)), das ihn für ein Ältestenamt disqualifiziert.
1.Kor 14,34 ff Die Frauen sollen schweigen in den Gemeindeversammlungen; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.
Wollen sie aber etwas lernen, so sollen sie daheim ihre Männer fragen. Es steht einer Frau schlecht an, in der Gemeindeversammlung zu reden.“
Die Frau erscheint hier als Mensch zweiter Klasse, der mit weniger Verstand ausgestattet worden ist. Der Apostel reagiert in einer cholerischen Weise auf ihm bekannte in der damaligen Kultur skandalöse Missstände in der Gemeinde. Er hatte schwerlich die Absicht einen allgemeingültigen Lehrsatz aufzustellen,  der in den folgenden Jahrhunderten so fürchterlich missbraucht werden konnte. Welchen Sinn macht denn der Satz „sie sollen daheim ihre Männer fragen“, wo es heute so viele ledige Frauen gibt?
1.Kor 7, 10-11 „Den Verheirateten aber gebiete ich – nein, nicht ich, sondern der Herr –, dass die Frau sich nicht von ihrem Manne scheiden lassen soll – 11 hat sie sich aber scheiden lassen, soll sie ohne Ehe bleiben oder sich mit ihrem Mann versöhnen – und dass der Mann seine Frau nicht fortschicken soll.“ Ist hier ein Blick auf die näheren Umstände der Scheidung überflüssig? Ein notorischer Trunkenbold vertrinkt das Haushaltsgeld, prügelt immer wieder Frau und Kind. Die Frau hat sich scheiden lassen und lernt einen Mann kennen, der dem Kind ein liebevoller Vater sein könnte. Einem Gott, der selbst in solch einem Fall auf strikter Einhaltung dieser Regeln besteht, sind offenbar diese Regeln viel wichtiger als das Lebensglück seines Kindes. In der Tat kommt es vor, dass streng bibeltreue Gläubige die Frau als “Ehebrecherin” betrachten und disziplinieren wollen. Sie sehen sich verpflichtet, die Glaubensschwester zu belehren, dass sie sich im Zustand des Ehebruchs befände (Mt 5,32) und verpflichtet sei, die neue Ehe aufzulösen. Andernfalls hätte sie mit der Strafe ewiger Verdammnis zu rechnen. (vgl Mt 5,29-30) Gott erscheint hier als jemand, der die unbarmherzige massive Erpressung unglücklicher Menschen für angemessen hält, wenn dadurch nur seine Idealvorstellungen wie die einer lebenslangen Ehe allen deutlich genug gemacht  werden. Die Gläubigen, die seine angeblichen Interessen durchsetzen, machen auf ihre Umwelt einen bornierten, inkompetenten, boshaften Eindruck. Mt 19,9 erlaubt die Scheidung “wegen Unzucht”. Die am Buchstaben haftende Auslegung lässt keine weitere Ausnahme gelten.  Dabei können wir hier durchaus “Perspektivstil” annehmen. Der Begriff “Unzucht” steht als Beispiel für alle weiteren Unzumutbarkeitstatbestände. Damit ist natürlich auch in solchen Fällen die Wiederheirat zulässig.
1.Kor 6,1 ff. Wie kann jemand von euch wagen, wenn er einen Streit hat mit einem anderen, sein Recht zu suchen vor den Ungerechten und nicht vor den Heiligen? Da die Gemeinden in der Regel gar nicht über geeignete Schiedsrichter verfügen (1Kor 1,26) und auch kein durchgreifendes Instrumentarium für eine Bestrafung haben, ist die Gefahr groß, dass gar nichts entschieden wird, und der Geschädigte auf seinem Schaden sitzen bleibt. Auch hier reagiert Paulus cholerisch auf ein würdeloses Ereignis in der Gemeinde, das er aus der Perspektive des kommendem Gottesreiches beurteilt, in dem treuen Christen  Verwaltungsaufgaben anvertraut werden. (Luk 19,17) Leider widmet er in seinem Brief der Frage, ob und inwieweit  ein Schiedsgericht in der Gemeinde überhaupt durchführbar ist, keine Aufmerksamkeit.
Mt 5,27-30 Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 20,14): »Du sollst nicht ehebrechen.«
 Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.
 Wenn dich aber dein rechtes Auge verführt, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.
Wenn dich deine rechte Hand verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle fahre.“
Der buchstäbliche Sinn dieser Sätze zwingt viele Gläubige in ein ständiges Kreisen um die sexuelle Frage.  Nach traditionell-bibeltreuem Verständnis ist die Entlastung durch „Handarbeit“ (Masturbation) verboten. So bleiben gerade Menschen, die gar keinen oder einen ungeeigneten Partner haben und mit starkem Trieb ausgestattet sind, in einem zermürbenden Schwanken zwischen Schuldgefühlen und frustrierendem Verzicht gefangen, ein Konflikt, der durch machtbesessene Bibellehrer gerne verschärft wird. Für den Begriff „begehren“ wird im Griechischen das Tätigkeitswort „επιθυμησαι“ verwendet, das im Zehngebot auf das unrechtmäßige Habenwollen von Haus und Esel des Nachbarn bezogen ist. (Ex 20,7) Somit geht es bei den Worten Jesu  gar nicht um eine neurotisch-religiöse Reinheitsidee. Eindringlich wird davor gewarnt, einen konkreten Rechtsbruch in Gedanken vorzubereiten. Somit müsste man besser übersetzen:  „wer eine verheiratete Frau habgierig anblickt und sie besitzen will…“

[in Bearbeitung]

 

 

Artikel aktualisiert am 08.01.2022

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